Getaegert – Functional Training

‘#Getaegert – Functional Training’

‘Eugen Sandow – Nach heutiger Definition hätte er nicht funktional trainiert, denn Plastikbälle waren noch nicht erfunden! Immer diese unfunktionalen Muskeln.

Functional Training ist in aller Munde. Das Marketing ist groß, man wirbt vor allem für “funktionale Muskeln” statt “aufgeblähte Bodybuilder Körper.” Und wieder könnte ich Brocken kotzen. Dabei ist die Functional Bewegung gar nicht mal was Schlechtes. Aber das Wort “Functional” ist selten dumm, denn es bedeutet vor allem eins: Da verändert sich nix.

Was? Wie da ändert sich nix? Die werben doch mit ganz tollen funktionalen Körpern, Frank! Ja, das tun sie. Und damit demonstriert jeder, der Functional Fitness mit tollen Bodies bewirbt, dass er ein wenig besser hätte aufpassen müssen. Als im Unterricht die Trainingslehre dran kam, gab es nämlich zwei Unterscheidungen:

Generell gibt es für uns nur zwei Arten von Anpassungen, die wir im Training erreichen können. Das mag zuerst mal seltsam erscheinen, aber wirklich, es gibt nur zwei: Funktionale Anpassungen und strukturelle bzw. morphologische Anpassungen. Morphologische/strukturelle Anpassungen sind diejenigen, bei denen wir einen Trainingseffekt in der Zusammensetzung des Körpers feststellen können. Das kann alles Mögliche sein. Verbesserte Kalzium-Einlagerung in den Knochen, eine verhärtete Sehne mit mehr Spannkraft oder eben der Klassiker: hypertrophierende Muskeln. Morphologisches Training verändert die Kapazität unseres Körpers und ist das, was die meisten wollen. Fett weg, Muskeln her. Toll aussehen eben. Funktionale Anpassungen wiederum sind genau das: funktional. Hier reden wir vom Erlernen von Mustern, einer Veränderung der Muskelspannung in bestimmten Situationen oder aber einfach einer Erhöhung der Kraft durch Anpassungen im Nervensystem. Unser Nervensystem nimmt beispielsweise durch Krafttraining eine Reihe von Anpassungen vor. Beispielsweise lernt das Gehirn, dass eine höhere Aktivierung von motorischen Einheiten, sprich Muskelfaserbündeln, sicher ist. Und dadurch werden wir stärker, in einem gewissen Maß. Vergleichen wir beispielsweise das Sprungtraining mit Kniebeugen Training, sehen wir, dass die Kniebeuge eine fast dreimal so hohe Verbesserung der maximalen Kraft mit sich bringt, die Kraftentwicklung aber kaum profitiert. Beim Sprungkrafttraining erreichen wir zwar nur eine geringe Erhöhung der maximalen Kraft, dafür aber verbessert sich die Kraftentwicklung um ganze 38%. Rein funktional haben wir hier zwei verschiedene Funktionen, die durch das Training angesprochen wurden.

Auf Seite des Nervensystems gibt es mehrere Faktoren, die funktional im Krafttraining wirken. Sie werden unter intermuskulärer Koordination, intramuskulärer Koordination und Reflexen zusammengefasst. Intermuskuläre Koordination ist das Zusammenspiel zwischen den Muskeln, um eine Aufgabe zu verrichten. Schlechte Technik ist ein Zeichen von schlechtem Techniktraining und unzureichender intermuskulärer Koordination. Intermuskuläre Koordination beinhaltet die Synchronisierung von Muskelarbeit, die korrekte Sequenzierung verschiedener Abläufe sowie Hemmung und Enthemmung von Muskeln für eine korrekte Durchführung der Übung. Intramuskuläre Koordination (IK) beschreibt die Prozesse, die innerhalb eines einzelnen Muskels vorgehen. IK besteht aus Number Encoding, Rate Encoding und Pattern Encoding. Number Encoding beschreibt die Fähigkeit der Spannungsregulation über die Anzahl, wieviele Muskelfasern gleichzeitig aktiviert werden. Rate Encoding beschreibt die Fähigkeit, mit welcher Frequenz die Muskelfasern angesteuert werden und somit wie hart sie kontrahieren. Pattern Encoding ist die Fähigkeit des Muskels, bestimmte Sequenzen von motorischen Einheiten für bestimmte Aufgaben abzurufen. Alle drei Faktoren sind trainierbar. Number und Rate Encoding bekommen einen besonderen Status, da sie eine Art Sicherheitsfaktor darstellen. Number Encoding verhindert die vollständige Aktivierung des gesamten Muskels und Rate Encoding reguliert wie stark die Muskelfasern angesprochen werden. Eine ausreichende Menge Adrenalin kann diese beiden Faktoren ausser Kraft setzen. Der Effekt ist die sog. Freak Strength, bei der wir in Extremsituationen zum Selbstschutz vorher ungeahnte Kräfte abrufen können.  Unter Reflexen verstehen wir beim Krafttraining wiederum die Neuorganisation bestimmter Reflexe als Reaktion auf Krafttraining. Beispielsweise kann durch Depth Jumps von einem Block über eine Voraktivierung die Rekrutierungsgeschwindigkeit der Muskeln für Sprünge massiv erhöht werden. Durch den automatischen Reflex beim Landen lernt der Muskel eine schnellere Kraftentwicklung und der Athlet wird explosiver. Ebenso können wir diesen Effekt nutzen, indem wir eine sehr schwere Last für die Kniebeuge benutzen und diese dann reduzieren. Beispielsweise nutzen wir für ein Training 90-95% 1RM für jeweils zwei Einzelwiederholungen. Danach reduzieren wir das Gewicht und führen einen Arbeitssatz mit 75-80% 1RM durch, mit maximaler Geschwindigkeit. Die leichteren Sets werden sich leichter anfühlen und der Athlet wird explosiver durch die Bewegungen gehen können, wenn er die Akivierungssätze nutzt.


Es gibt also genügend funktionale Faktoren. Diese werden immer angesprochen. Ein rein funktionales Training gibt es ebenso wenig wie ein rein strukturelles Training. Ein Bizeps Curl ist ebenso funktional und spezifisch für die Funktion der Armbeugung wie viele andere Trainingsmethoden. Und das ist das Irre: Functional Training ist oft gar nicht mal schlecht. Aber oft auch unnötig. Es wird mit viel Quatsch beworben, der nicht unbedingt sinnvoll ist. Das liegt daran, dass viele Bewegungen hochspezifisch sind. Ein paar Beispiele tun dem natürlich gut.

Nehmen wir als erstes Beispiel instabile Übungen vs. stabile Übungen. Liegestütze oder Dips an Ringen oder TRX Trainern vs. Liegestütze auf dem Boden und Dips am Holm. Niemand wird bestreiten, dass die instabile Variante am Ring oder TRX Trainer schwieriger ist. Da der TRX Trainer wackelt, muss ein nicht zu unterschätzender Teil der Muskulatur das Band stabilisieren, das Gleiche gilt für Dips. Dadurch wird die Übung gefühlt schwerer. Die Stabilisationsarbeit ist aber höchst spezifisch. Trainer werben damit, dass diese Übungen effektiver wären, reell sind sie das nicht. Denn durch die Stabilisationarbeit verringern wir die Leistungsfähigkeit. Wir schaffen weniger Ringdips, weniger Liegestütze am TRX Trainer. Gleichzeitig ist die Stabilisationsarbeit ziemlich spezifisch. Für einen Turner, der an den Ringen arbeitet, ist das grossartig. Denn er lernt dort die Stabilität in verschiedenen Positionen zu halten und die Körperspannung aufzubringen, die für die jeweiligen Stunts nötig ist. Das gilt auch für Gymnastik begeisterte Body Weight Trainierende. Aber für alle anderen gilt das nicht. Das Pattern Encoding und Motor Learning als funktionaler Motor dieser Stabilisierungsarbeit sorgt dafür, dass wir die Stabilisierungsarbeit für bestimmte Bewegungen lernen, nicht unbedingt generell. D.h. der Übertrag dieser Übungen auf andere ist nicht zwingend vorhanden. Das gilt vor allem deswegen, weil die Stabilisierungsarbeit der Muskulatur in den meisten Fällen eine Form von isometrischem Training ist. Die isometrische, funktionale Kraft wird nur dann Übertrag haben, wenn wir das nächste Mal in genau der gleichen Muskelstellung isometrische Arbeit verrichten wollen. Deswegen nutzen intelligente Trainer bei isometrischem Training – welches durchaus seinen Platz hat – mehr als eine Stellung für das Training um die funktionale Komponente in der kompletten Reichweite zu stimulieren. Wir bekommen damit durch das sogenannte funktionale Training also weniger Kraft und als Addendum eine Stabilisierungskomponente die wir ausserhalb des Trainings kaum anwenden werden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Training von Wackelbrettern. Vor einiger Zeit gab es die Theorie, dass durch Wackelbretter oder instabile Oberflächen eine größere Anzahl kleiner Muskeln angesprochen werden würde. Deswegen seien Trainingseinheiten auf instabilen Oberflächen eine gute Idee. Die Königsdisziplin dieser Idiotie ist die Kniebeuge auf dem Gymnastikball. Diese Art von Training ist enorm hilfreich für die Rehabilitation von Sportlern, da die Instabilität wirklich eine hohe Nervenaktivität zur Folge hat. In Studien konnte allerdings gezeigt werden, dass Training auf stabilen Oberflächen vs. Training auf instabilen Oberflächen nur ein Ergebnis kennt: Diejenigen, die auf stabilen Oberflächen trainieren, werden stärker. Das ist nachvollziehbar. Durch das ständige Korrigieren haben wir den gleichen Effekt wie bei den Suspension Trainern aus dem letzten Beispiel: Die Übung wird zwar schwerer, aber das ständige Korrigieren verhindert eine korrekte Sequenzierung und Synchronisierung der Muskulatur und wir können weniger Gewicht bewältigen. Wenn wir aber stärker werden wollen und einen Übertrag auf das Training, dann brauchen wir eine verbesserte Synchronisierung und Sequenzierung der einzelnen Muskeln und vor allen Dingen brauchen wir ein klares im Hirn gespeichertes Muster. Deswegen trainieren Kampfsportler jede Bewegung tausende Male, bis sie perfekt ist.

Wenn dir jemand sagt, du sollst auf so etwas eine Kniebeuge durchführen, wechsel den Trainer. Schnell.

Aber gibt es auch Vorteile von “funktionellem Training”? In Jedem Fall, aber wir müssen jede Trainingsform einzeln betrachten und somit auch die eingesetzten Geräte. Suspension Trainer oder Ringe sind ein interessantes Trainingsgerät für Personen, die Body Weight Training mögen. Es steht nichts dagegen, auch Pullups und Dips an Ringen auszuführen, insofern wir nicht davon ausgehen, dass sie den stabilen Übungen gegenüber überlegen sind. Training auf Wackelbrettern erlaubt uns oft, die funktionelle Komponente auszutricksen und die Mobilität im Fussgelenk zu erhöhen. Das wiederum kann eine korrekte Kniebeuge erst ermöglichen. Training mit Kettlebells kann enorm sinnvoll für das Herz-Kreislauf-System sein und viele der Kettlebell Übungen erlauben relativ einzigartige Aktivierungen funktionaler Ketten im System.

Aber die Idiotie ist eben, dass es nicht nur “funktional” ist. Viele “Functional Training” Marketer wollen einfach nur das Image des Bodybuilders loswerden. Werben tun sie aber mit Strandbodies, Sixpacks und funktionalen Mustern von hübschen, schönen Menschen am Strand. Ich garantiere aber, dass diese Leute nicht Funktion wollen: Die meisten Menschen wollen strukturelle UND funktionale Komponenten und deswegen ist der Begriff “Functional Training” einfach für die Tonne. Ein intelligent geplantes Training involviert selten nur eine einzelne Form des Trainings. Besonders fortgeschrittene Athleten sollten ihr Spektrum an Übungen stark erweitern und so breit wie möglich trainieren. Kniebeugen mit der Langhantel können durch Sprünge und Bodyweight Übungen genauso ergänz werden wie Bankdrücken mit Ringdips. Klassische Situps können durch L-Sits und ähnliche Übungen ergänzt werden. Die Bezeichnung Functional Training geht mir deswegen so auf den Sack, weil sie sinnvolle, sich ergänzende Trainingsformen, d.h. klassisches Widerstandstraining und Bodyweight Training, gegeneinander ausspielt. Dieser Gegensatz existiert aber nur in den Köpfen schlecht ausgebildeter Trainer. Und deswegen ist der Begriff  “Functional Training” Bullshit.

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