Hartes Training – oder nicht?

‘Hartes Training’

Seit knapp 10 Jahren beschäftige ich mich mit Fitness und sehe allerlei Unsinn. Unter #getaegert schreibe ich eine Kolumne, in der Unsinn auf logische Weise zerlegt und die Dummheit oder Beschränktheit einiger Aussagen deutlich gemacht wird. So deutlich, dass einige Leser sich vielleicht angegriffen fühlen könnten. Wenn dich das stört, bist du hier falsch. 

Si vis pacem, para bellum – Willst du den Frieden, so rüste zum Kriege. 

 Vegetius, Epitoma rei militaris, III, Vorwort

Ich höre immer wieder “man muss nur richtig hart trainieren.” Oder “das ist ein Lifestyle, den muss man leben, go hard or go home.” Und jedesmal könnte ich kotzen. Denn das sind die Worte eines Wohlstandstrainierenden. Der sich sicher hart pusht,  keine Frage. Mark Bell, der ehemalige amerikanische #1 Powerlifter in seiner Klasse, hat vor einiger Zeit passend dazu gesagt, “Ich bin nicht hardcore. Powerlifting ist nicht hardcore. Wäre ich ein harter Kerl, wäre ich Soldat oder MMA Fighter.” Viele wollen einfach “den Lifestyle” leben. Der ach so hart ist. Ich bin kein Bodybuilder, ich bin kein Powerlifter, kein olympischer Gewichtheber. Ich bin Kraft- und Ausdauertrainer. Ich komme ursprünglich aus dem Kampfsport. Ich war Fighter und habe mit den Shaolin trainiert. Ich habe viel trainiert, als ich noch sehr jung war. Intelligent und weniger intelligent, mit und ohne Spätfolgen. Als ich mein Abitur abgeschlossen hatte, fühlte ich mich verloren in dieser Welt, ohne Ziel. Also tat ich das, was ich schon immer tun wollte. Ich ging nach China und wurde Shaolin Mönch. Nahm an Meisterschaften teil, bekam zwei Sibermedaillen. Nach einem Jahr ging ich nach Thailand, und kämpfte im Muay Thai Ring. Manchmal siegte ich, manchmal verlor ich. In meinem ersten Muay Thai Kampf wurde ich von einem regionalen Champion KO geschlagen. Alleine in den 1,5 Jahren 2006/2007 in Asien habe ich ca. 14 Monate, 6 Tage die Woche, 6-8 Stunden am Tag im Training verbracht. Allein in dieser Zeit waren es mehr als 2000 Stunden Training. Entgegen vieler Vermutungen, ich wäre reiner Theoretiker, habe ich in meinen jungen Jahren mehr Trainingspraxis gehabt, als die meisten meiner Kritiker in ihrem Leben haben werden. Und es war hart. Ich hatte nicht selten den Gedanken, einfach aufzuhören, damit die Strapazen, die Selbstentbehrung und die Schmerzen aufhören. 

Studiomitgliedschaft: 19,95. Starting Strength als Lektüre: 9,90. Franks Gesicht beim Training: Unbezahlbar. 

Vor einiger Zeit gab es einen Artikel über Gym Jones. Gym Jones wurde gegründet von einem meiner persönlichen Helden, Mark Twight. Man mag über seine Art denken, was man will. Aber Twight ist zielstrebig und jeder um ihn herum ist zielstrebig. Es ist eine Art zu denken und zu leben. Viele tönen im Internet sie trainieren oft und richtig hart. Sie sind richtige Tough Guys. Was einen nicht umbringt macht einen stärker, so schallt es in Foren und Studios aus plärrenden Mäulern. Aber sind wir mal ehrlich, trainierst du WIRKLICH hart? Nein, ganz sicher nicht. Ich weiß es, weil ich den Unterschied gelernt habe. Und auch ich, trotz meinem Erreichen aller Grenzen, war nicht wirklich so hart am trainieren wie die absoluten Top Fighter und Soldaten.

Was ist dein Ziel? Seien wir ehrlich hier. Willst du gut aussehen? Oder willst du viel Gewicht ziehen? Willst du einfach überleben? Willst du länger Rad fahren… Moment, überleben? Ja, überleben. Jeder Mensch hat Tage im Leben, da sind wir  richtig weichgespülte Pussies. Das ist die Realität und ich gebe es zu: Mein Training fühlt sich momentan hart an, aber es ist nicht hart. Es ist nie an der Grenze. Und deins auch nicht. Dein Lifestyle ist nicht “hart.” Es ist ein scheiß Wohlstandsding, ein erste Welt Problem, dass du besonders “Hart” bist. Ein Peshmerga Fighter in Syrien ist vermutlich hart.  Chuck the Icemann Lidell war hart. Aber ist jemand der in einem Fitnessstudio in unserer Wohlstandsgesellschaft trainiert, jemals wirklich hart? Fragt man Mark Bell, der vor kurzem beim Versuch 492kg in der Kniebeuge umfiel, dann ist er es nicht. Wir heben nur Gewichte, wir sind keine Navy SEALs oder MMA Fighter oder so. So seine Worte eines der stärksten Menschen auf diesem Planeten.

Menschen werden durch verschiedene Dinge motiviert. Auf dich wird nicht geschossen. Wenn du dein Gewicht fallen lässt, das Gewicht nicht schaffst, fällst du nicht 250m tief und bleibst dann verblutend liegen. Das Leben deines Kameraden hängt nicht davon ab, dass du ihn 10km auf dem Rücken in die Evac Zone tragen kannst. Deine Motivation ist einfach nicht ausreichend genug. Von deinem Training hängt kein Leben ab, das Ergebnis ist  einfach nicht so wichtig. Natürlich ist es cool, sich mit einem Smartphone vorm Spiegel mit prallen Muskeln zu fotografieren. Aber wenn du nicht trainieren würdest, würde es jemanden umbringen? Musst du mit deiner Figur irgendjemanden retten? Deswegen frage ich dich: Warum feierst du, dass du so knallhart bist? Weil deine Muskeln wehtun? Weil du dich in Grund und Boden trainierst und dich dabei von deinen Kameraden feiern lässt? Weil du deinen Arm in die Kamera hältst um deinen Bizeps zu präsentieren? Ich verstehe es wirklich nicht. 

Am 19. März 2006 kam ich in China an. Ich hatte gerade einen Flug von Hannover nach München mit meiner Mutter hinter mir. Sie verabschiedete mich und ich setzte mich in meinen zweiten Flieger: München – Beijing. In China war ich schon mal. Diesmal war es anders, ich war nicht hier, um kurze Zeit zu verbringen. Ich war dort, um ein neuer Mensch zu werden. Ich bekam meinen zweiten Flug nach Zhengzhou. Dort erwartete mich bereits ein kleiner Wagen, der mich ins Landesinnere trug. Der Trainer hieß Sanda Shifu, später lernte ich, dass er so hieß weil er vor allem eines konnte: Leute ausknocken, er wurde nach seinem Sport benannt. Ich kam bei meinem Meister an und wurde begrüßt. Ich borgte mir einige Trainingsklamotten und Schuhe. Ich ging abends zu Bett. Um 5.40 klingelte der Wecker, eine Sirene ging los. Zu allem Überfluss hatte ich auf einem Bett geschlafen, dass aus einem Holzbrett mit Überzug bestand. Das erste Training begann um 6, das zweite Training begann um 9.40, das dritte Training um 14 Uhr und das vierte, freie Training begann um 19.30.

Am ersten Tag konnte ich gut mithalten. Am zweiten Tag begannen die Schmerzen. Am dritten Tag begann die Hölle und am vierten Tag hatte ich Tränen in den Augen. Ich stand mit anderen Neuankömmlingen vor der Treppe unseres Hauses und wir trauten uns wegen der Schmerzen die Treppe nicht hoch. Und doch mussten wir wieder zum Training. Tagein, tagaus. Man gewöhnte sich daran. Man wurde stärker, manche zerbrachen an dem Training. 30-40 Stunden wöchentlich waren es. Der Zeitplan eines Elite Athleten. Nur einer von fünf Ausländern, die sich das Shaolin Training auf lange Zeit vorgenommen hatten, blieb.

“Willkommen in deiner persönlichen Hölle, bitte bezahle 3700 Yuan pro Monat um Bleiben zu dürfen. “

Das Training an sich erschien nicht so hart, wie ich dachte. Es war nicht die Härte des Trainings, sondern der Zeitplan, der einen an den Rand des Wahnsinns brachte. Im Training war es immer die gleiche Abfolge. Morgens Laufen, Stretching, Basics oder Qigong. Freitagmorgens war es Power Training, was so etwas wie Frog Jumps die Treppe hoch, gefolgt von Sprints, gefolgt von Runden um den Platz mit deinem Trainingspartner auf dem Rücken hieß. Wir nahmen das freitags sehr gelassen hin, denn samstags konnten wir meist in die Stadt. Ansonsten fand unser Leben in der Schule statt, genau wie das der Kinder. Die Kinder in China, in diesen Kung Fu Schulen, trainierten für ein besseres Leben. Ein Leben als Schauspieler, ein Leben als Sicherheitsbeamter, Polizist oder Soldat. Ein solches Leben war es, um das er hier ging. Ein Abschluss einer Kung Fu Schule war mehr wert als der Abschluss einiger lokaler Universitäten. Manche Kinder kamen mit vier Jahren in die Schulen. Sie blieben bis sie 16 oder 17 waren. Ihre Familien sahen sie genau einen Monat im Jahr. Der Monat, in dem frei war. Das war ein härterer Plan als das von Elite Athleten in Sowietrussland. Dort war es üblich, dass Athleten drei Wochen ohne Pause trainierten und dann eine Woche bei ihren Familien verbrachten. Das Leben in China war hart für diese Kinder. Morgens um 6 Uhr standen wir alle vor dem Wohngebäude stramm für unsere Lehrer. Die Schulklassen der Schulen in Zhengzhou und Dengfeng standen um diese Uhrzeit bereits seit einer halben Stunde entweder stramm in Formation oder sie marschierten in Reih und Glied den Platz auf und ab. Es gab hier keine Ausreden. Die Idee, an einem Training nicht teilzunehmen, war für die Trainer unvorstellbar. Hartes Training hiess für die Kinder vor allem tägliches Training, ohne Pause, ohne Erholung. Eine Nichtteilnahme oder Fehlen wurde mit Stockschlägen bestraft. Ich habe Kinder mit gebrochenen Armen und Gips gesehen, die vom Trainer an den Seitenrand gestellt wurden. Sie trainiert dort das Rad ohne Hände. Mein Laienchinesisch, das ich irgendwie zusammen gelernt hatte, erlaubte mir zumindest zu erahnen, was der Trainer den Kindern sagte. Der Trainer deutete an, dass er die Situation optimal fände. Denn wenn man seine Hand eh nicht benutzen kann, kann man beim Rad ohne Hände auch nicht bescheißen.

“Rekruten, in China hab ich vierjährige gesehen, die besser marschieren als ihr!. “

Nach 1-2 Monaten war man die Schmerzen gewohnt, doch eine dumme Angewohnheit der Trainer würde ich nie vergessen: Sie nannten es Power Stretching. Das bedeutete nichts anderes, als das man den Spagat übte und dann setzte sich jemand drauf. Oder hängte sich tief ins Bein. Wie sich das angefühlt hat, lernte man bereits bevor man damit in Kontakt kam. Im Gesicht der Probanden konnte man ein gewisses Entsetzen erkennen, dass mit der Zeit stärker wurde und kurz danach fing man an zu schreien. Die Schmerzen waren kaum aushaltbar, aber in Shaolin fand man, dies sei die beste Art Stretching zu betreiben. Ich wusste, dass das nicht wahr ist, aber meine Trainer nicht. Und es war ihnen auch herzlich egal. Viele Ausländer verletzten sich beim Training, meist auf dumme Weise. Überlastungsentzündungen, Muskelfaserrisse, Bandscheibenvorfälle, Verstauchungen und vieles mehr waren an der Tagesordnung. Irgendwie schafften wir es, mental diesen Wahnsinn auszublenden. Ich schlussfolgerte, dass es nur eine Möglichkeit gab, dem Spagat zu entkommen: Ich musste ihn können, schneller als die Shifus mir meine Hüfte zerreißen konnten. Ich legte eine DSL Leitung von unserem Zimmer ins Zimmer der Shifus. Damit man mir wohlgesonnen war, besorgte ich Router und Kabel und verkabelte jeden Trainer in dem Gebäude. Ich war inzwischen das, was man Team Leader nannte. Jemand mit einem offiziellen Führungstitel, ohne echte Entscheidungsgewalt.  Mit meinem Roommate Steffen zusammen führte ich Neuankömmlinge durch die Schule, hörte mir an was sie zu sagen hatten. Aufgrund unseres Status als “Leute die länger bleiben” und damit mehr Geld einbringen, und dem Fakt, dass auch die Shifus nun Internet auf ihrem Zimmer hatten, ließ man mir diesen Akt mit einem missbilligenden Gesicht ungestraft. Ich besorgte mir alles, was ich an wissenschaftlichen Informationen über Stretching besorgen konnte. Ich lernte es und setzte es in jedem freien Training um. Nach knappen vier  Monaten  hieß es dann “VERY GOOD FRANK” und ich war am Boden. Die Wissenschaft hatte mir den Arsch gerettet und mich vor einer Menge Schmerzen bewahrt. Ich wollte dort in China bleiben, mich aber auch nicht zerstören lassen. Ich bin einer derjenigen, die keine Spätfolgen von dieser Art des Trainings tragen, und dafür danke ich Pavel Tsatsouline und Thomas Kurz.

 

Powerstretching, ein Spass für die ganze Familie. 

Mit der Zeit entwickelten die Trainierenden dort eine gewisse Persönlichkeit. Von zehn die kamen, gingen sieben ganz schnell wieder.  Die mit der größten Klappe gingen als Erstes. Die anderen entwickelten eine Art, damit umzugehen. Wir lernten, zu überleben. Die einen wurden aggressiv. Sie waren immer wütend und ließen es am Training und anderen Menschen aus. Und manchmal am Shifu. Das brockte uns einmal bei Sanda Shifu einmal ein zweistündiges Straftraining eingebrockt ein. Frog Jumps in Reihe, während Shifu neben den Kommandos einen Vortrag über Respekt hielt. Danke, XXX, du blödes verdammtes Arschloch. Jeder Full Metal Jacket Fan hatte sofort eine Assoziation die mit Handtüchern und Seife zu tun hatten. Andere wurden irre. Ken, wurde von seinen Eltern dort hingeschickt, weil er zu dick war. Nachdem er bereits ganze 20kg abgenommen hatte, begann, den Müll der anderen zu essen, falls wir etwas aus welchem Grund wegwarfen. Einmal konnten wir beobachten wie jemand eine “Köstlichkeit” auspackte. Dieses Gebäck war so ungeniessbar, dass es sofort in Müll wanderte. Ken stürzte herüber mit einem “DO YOU STILL EAT THAT? IM GONNA EAT THAT” und griff in den Zimmermüll. Bereit, seine neue Beute unnachgiebig zu verteidigen. Die dritte Variante, zu der ich gehörte, waren die, die nur noch gelacht haben. Navy SEAL Ausbilder Mad Max sagte in der Dokumentation über SEAL BUD/S Klasse 234,  dass am Ende der Ausbildung die Rekruten alles mitmachen. Egal wie dumm, egal wie absurd es ist, sie sagen einfach nur “Ja, Sir!” während sie mit einem breiten Grinsen genau das tun, was man ihnen aufträgt. Und meist über absurde Dinge nur noch lachen. Das beschrieb uns gut. 20 Frog Jumps die Treppe rauf? Okay. Dann mit einem Bein? Okay. Drei Treppenstufen? Hahaha, okay. Kopfstand auf dem kaputten Pflaster draußen im Hof? Okay, wird gemacht Shifu. Das ging soweit, dass wir uns irgendwann darüber lustig machten, dass Steffen einen kleinen Kieselstein im Kopf hatte. Er hatte auf diesem Kieselstein gerade ca. 10 Minuten einen Kopfstand gemacht und man musste ihm das Teil aus der Kopfhaut ziehen. Wir lachten und er kommentierte es mit “soooo gross ist das nicht, wenn ich da an diesen Abszess letzten Winter denke…”

Galgenhumor und tun was getan werden muss bei einem irren Trainingsablauf. Bis dahin dachte ich, ich hätte bereits alles erlebt. Dass wir nebenbei auf eine Weltmeisterschaft gezerrt wurden und erst drei Tage vorher wussten, dass es die WM war? So etwas war eher Nebensache. Wir waren da um zu trainieren und das Training zu überleben. Jeder mit seinen eigenen Strategien.

Weltmeisterschaften, komische Schilder… man gewöhnt sich an alles. 

Ich blieb zehn Monate, bis der Winter kam.  Mein guter Freund Steffen blieb ganze zwei Jahre dort, er war tougher als wir anderen alle zusammen. Mit meinem Freund Marco zog ich durch China. Beijng, Shanghai, Kunming, die Mauer, die verbotene Stadt. Wir haben es alles gesehen. Vorher aber hatten wir eine Prüfung abzulegen. Ein Training wie vorher, nur über 2 Stunden und ohne Pausen. Mit 8 Leuten in der Gruppe bekommt man ausreichend Pausen. Ein Mitstreiter wird immer auf dem Teppich sein, seine Übungen machen, abschließen und dann ist man wieder an der Reihe. Während man aber im militärischen Drill darauf wartet, bekam man die Möglichkeit zum Verschnaufen. Mit zwei Mann waren diese Pausen kurz. Marco und ich machten unsere Sache bis zum Ende gut, obwohl es extrem anstrengend war. Dann kamen die Formen. Ich sollte die Nan Quan, die Südfaust, vorführen. Ich stand vor dem Teppich, ging im Stechschritt los und stand vor einem Meister, 5 Lehrern und 30 anderen Schülern. Ich performte die Südfaust. In den letzten 10 Bewegungen wurde ich langsamer. Schmerzen und ein Gefühl der totalen Erschöpfung überkamen mich. Ich beendete die Form, langsam, aber immerhin mit korrekten Bewegungen. Ich verbeugte mich vor unserem Meister, grüßte ab und verließ im Stechschritt den Teppich. Als Marco dann begann, seine Tai Chi Form mit dem Schwert vorzuführen, kotzte ich aus dem Fenster. Am nächsten Tag sagte mir mein Shifu lachend, dass man mir bei “Persönlichkeit” in meinem Prüfungszeugnis eine “A+” eingetragen habe. Aber dann wurde es uns auch wirklich zu bunt in Shaolin.

Wir flohen vor der Kälte, machten aber noch einen Abstecher zum Mount Everest Base Camp. Im Januar, mitten im Winter, wir Idioten. Wir kämpften beide mit der Höhenkrankheit und dann hatten wir verdammt noch mal genug von Minusgraden. Minusgrade, die sich auf den ersten Blick lustig anhören, bis man eine Hoteldusche entdeckt, die so aussieht:

Willkommen in Tibet. Dein Kopf explodiert und du solltest schnell duschen. Denn die Dusche ist bereits gefroren. 

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Wir zogen nach Thailand. Dort war es wenigstens warm. Aber wir wollten weitermachen, also lernten wir Muay Thai.  Wir flogen von Lhasa aus nach Cheng Du, von dort aus nahmen wir den Zug nach Kunming, im Süden Chinas. Warm, gutes Essen, Szechuan Küche. Ein Traum. Unser eigentlicher Plan, von China mit dem Bus durch Laos nach Thailand zu fahren, erschien uns nachdem wir Höhenkrankheit und Minusgrade überlebt hatten, irgendwie zu irre. Wir namen den Flieger nach Bangkok. Und die ersten Wochen erholten wir uns von dem Wahnsinn, den wir die letzten 10 Monate durchgemacht hatten. Mein Reisepartner Marco hatte bereits gegrübelt und der gute Mann brachte uns ins Paradies. Auf einer kleinen Insel, die zu dem Zeitpunkt ein Geheimtipp war und größtenteils von Thai Kurzurlaubern bevölkert. Wir waren wir endlich am Strand. Es war warm und es ging weiter. Die Insel ist heutzutage kein Urlaubsort mehr, eine Ölkatastrophe hat sie völlig zerstört. Nach 14 Tagen Entspannung auf der Insel fuhren wir nach Phuket und quartierten uns im Camp ein. 

Die Leute dort in Thailand waren freundlicher als in China. Aber das Training war noch erbarmungsloser. Die Hitze von 40° waren wir aus China gewohnt, auch die Disziplin. Die 100% Luftfeuchtigkeit machten uns jedoch zu schaffen. Unsere Wetten, dass einer von uns alle Trainings im Camp mitmachen würde, waren bereits nach einer Woche beendet. Ich nahm viel Privattraining bei Kru Yod, Kru Gae, Kru Yod, Kru Phet und Nazee. Alle begannen erst mich zu respektieren, als ich für einen Kampf trainierte. Ich veränderte mich, denn die Angst war in meinem Nacken. In einem Ring zu stehen, ist anders, als vor der Hantel zu stehen. Im Ring ist jemand, der dich KO schlagen will.

Und genau das ist passiert. Ich trat in einem meiner ersten Kämpfe gegen einen bereits erfahrenen Thaiboxer an. Ich war zudem noch krank, meine Kondition nicht so aufgestellt, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich war chancenlos und wurde deklassiert. Mein Gegner hatte bereits über 200 Kämpfe hinter sich. Er war ein absoluter Profi, mit über 100 KO Siegen. Und ich sollte ein weiterer werden.

Hartes Training unter Palmen. Zumindest war es nicht kalt. 

Nach meiner Erholung von dem Kampf ist mir eins klar geworden: Angst ist dein Freund. Jedes Mal, wenn ich im Training stand, dachte ich an diesen verdammten Knockout. Ich bin kein besonders guter Athlet. Ich neige dazu, Fett anzusetzen. Ich hab mich schwer beim Essen unter Kontrolle, hasse Ausdauertraining wie die Pest und Explosivkrafttraining schlägt nur wenig an. Aber ich hatte verloren, auf eine Weise, die man schwer versteht, wenn man es nicht selbst erlebt. KO geschlagen zu werden ist für einen Fighter eine der Erfahrungen, die absolute Demut verschafft. Und wie man im Fall Ronda Rousey sieht auch etwas, das einen an sich selbst zweifeln lässt. 

Nach meiner Niederlage lernte ich neue Freunde kennen. Leute, die mir eine neue Trainingsphilosophie beibrachten. Einige von ihnen waren aktive Söldner eines PMC im Urlaub, andere waren ehemalige Ranger oder Marines. Die Meisten von ihnen arbeiteten für private Militärdienstleister. Kommandosoldaten sind eine besondere Art von verrückten Typen. Es sind nicht die Soldaten, die irgendwo in einem Camp rumhängen, und Positionen sichern. Kommandosoldaten sind die Art Mensch, die über ein feindliches Gebiet fliegen, aus 10-15km Höhe aus dem Flug abspringen und erst sehr spät den Fallschirm ziehen. Von ihrem Landepunkt laufen sie dann oft 5-10km oder mehr Kilometer zu ihrem eigentlichen Ziel. Dort markieren sie entweder Ziele für Luftangriffe oder führen selbst waghalsige Kampfaktionen durch. Das völlig Irre daran ist, dass man sie oft mit einem Flugzeug wieder aus dem Gebiet holt. Ein tief fliegendes Flugzeug wirft eine Art Anker aus. Der Soldat oder die Soldaten öffnen eine Art Fallschirm, der mit dem Anker verhakt wird und der Soldat wird vom Boden aufgesammelt und während des Flugs mit einer Seilwinde in den Flieger gezogen. Diese Art von Irre.

Amat Victoria Curam – Der Sieg liebt die Vorbereitung 

Catull, Carmina 62, 16

Jeder dieser Menschen war sichtbar anders als die anderen Trainierenden. Denn sie trainierten nicht für eine Bühne oder für Zuschauer. Auch nicht unbedingt für den Ring, obwohl viele gerne kämpften. Ihnen waren die Zahlen egal, solange sie siegen und besser werden konnten. Diese Männer kämpfen um zu überleben. Jedes kleine Quäntchen in ihrem Training diente diesem einen Ziel. Mein Trainer sagte mir dann, jeder Trainer im Camp sei wie diese Menschen. Muay Thai sei ihr Leben, sie können nur Trainer sein, wenn sie kämpfen. Viele der Trainer kämpften jedes Wochenende für das Geld, das sie für ihre Familien brauchten. Trotz der Schmerzen waren sie nie krank. Sie hatten eine Trainingsethik. die völlig anders war, als das was ich bisher kennengelernt hatte. Ich nahm weitere Privatstunden, lernte von einem ehemaligen Navysoldaten wie man richtig taucht, und das Training wurde anders. Mein Fight war verloren, doch der Respekt war mir sicher, denn anders als viele Ausländer war ich im Ring. Mehrmals.

Einer der Jungs meinte, man hat mehrere Grenzen der körperlichen Belastung, die man brechen kann. Wenn man die letzte Grenze erreicht, dann merkt man es eh nicht mehr. Man ist dann bewusstlos. Davor gäbe es ein paar Grenzen, die es zu überwinden galt. Stufe eins war das Gefühl, dass es wirklich hart wird. Wer hier aufgibt, verpasst Stufe zwei. Dort spürt man seinen Körper rebellieren. Der Kopf fängt an zu zicken. Sätze wie “ich kann nicht mehr, mehr geht nicht” oder “wenn ich jetzt weitermache, breche ich zusammen” sind das Dauerprogramm. Wenn man dann weitermacht, weiter läuft, weiter rudert oder auf Pads einprügelt, dann erreichen wir Stufe drei, die Adrenalingrenze. Der ständige Begleiter, unser innerer Kritiker, scheint zu verblassen. Seine Stimme wird immer leiser und der Körper beginnt mit der Ausschüttung von Hormonen. Und die Grenze wird in der vierten Stufen gebrochen. Dort kriegt man die volle Dröhnung. Man ist fast high im Training. Und kann weitermachen, bis man Stufe 5 erreicht: den Moment, in dem man einfach umkippt.

Im Training lernte ich fast alle dieser Grenzen kennen. Einer der Trainer war imstande mich an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit zu bringen und dann darüber hinaus. Die ehemaligen Kommandosoldaten brachten mir bei, dass die wirkliche Grenze des menschlichen Körpers dann erreicht ist, wenn man zusammenbricht, kotzt oder ohnmächtig wird. Und das Kru Nai genau der richtige wäre, mich dort hin zu bringen. Nai war ein ruhiger Typ, der abends gerne mal tief ins Whiskeyglas schaute. Im Leben war er wohl nicht komplett glücklich, aber er war ein freundlicher, angenehmer Mensch, mit dem man gut die Zeit verbringen konnte. Und als Trainer war er in seinem Element. Kein anderer Trainer hat es jemals geschafft, mir die Grenze zu zeigen, an der ein Runners High im Ring einsetzt. Der Körper schüttet Adrenalin, Serotonin und Oxytocin aus. Während man von Kru Nai nur “ONE TWO KICK, ONE TWO KICK, ONE TWO THREE TWO; ONE TWO KICK” brüllen hörte, wurden diese Stimmen für mich leiser. Ich nahm sie wahr, ich machte genau das, was Nai wollte. Mein Körper sagte mir jedoch “ey, lass das. Serious.” Und in der nächsten Runde wurde mir erst kalt, dann fing ich an zu lachen und grinsen. Es lief mir kalt und warm den Rücken runter. Und ich trainierte wie eine Maschine weitere drei Runden mit Nai. Nai war stolz auf mich. Als das Adrenalin nachließ, lag ich für eine Viertelstunde in der Ecke des Rings. Nai rief “FRANK! STRONG” und die anderen Trainer nickten. Ich war komplett im Eimer. Erstaunlicherweise war ich am nächsten Tag wieder fit. Wir wiederholten dieses Spiel. Und oft hatte ich keine Lust mehr. Immerhin hatte ich Stufe vier erreicht.

You fight like you train – Du kämpfst, wie du trainierst

Aphorismus der US Navy SEALs

Aber dann kam immer wieder die Angst. KO geschlagen, verletzt zu werden. Ich hatte bereits einen Menschen schwer verletzt aus dem Ring fallen sehen. Das war kein Spiel. Die Kommandosoldaten kamen und gingen, nur wenige waren wirklich lange in Thailand. Als einer der Jungs, der ehemalige SEAL, der mir das Freizeittauchen nahegebracht hatte, nach Afghanistan abzog, war dasbusiness as usual. Als er das Camp verliess, sagte er zu mir “Frank, sieh dieses Training nicht als Sport, auch wenn es einer ist. Stell dir vor, dass irgendjemand, an irgendeinem Ort, dich töten will. Er will dich verletzen, dir weh tun. Und deine einzige Chance, zu überleben, ist besser zu sein als er. Das ist was wir tun. Und mach es richtig. Genau das tue ich und in sechs Monaten komme ich aus dem Loch in das ich gehe wieder zurück, lieg in der Sonne und hab einen Haufen Kohle verdient.”

Aber es fehlte noch etwas. Um es richtig zu machen, musste ich lernen, wie es wirklich richtig funktioniert. Erfahrungen und Wissenschaft mussten zur Praxis werden. Ich konnte mir keine Fehler mehr erlauben. Fehler waren gefährlich, Fehler bedeuteten verletzt zu werden. Vielleicht einen Arm zu brechen. Die Nase oder meine Schädelbasis. Nachdem einer der Fighter mit einem Elbogen und darauf folgenden Kniestoss eine Gehirnerschütterung und einen Rippenbruch kassiert hatte, war mir schlagartig noch klarer, was Kämpfen bedeutet. Einen Kampf überstehen beide Kämpfer nur selten komplett unverletzt. Auch der Gewinner nimmt meist Schaden. Insofern er den anderen nicht ihn wenigen Sekunden KO schlägt.

Einer der anderen Gym Gäste, nachdem er in einem Trainingsmatch KO geschlagen und wegen Blutverlust behandelt wurde. 

Ich lernte und trainierte. Ich brachte mich an den Rand des Zusammenbruchs und ging dann Tauchen um mich zu erholen. Ich habe jedes Buch gelesen, das ich kriegen konnte. Jedes Training absolvierte ich wie eine Maschine. Ich gestand mir irgendwann ein, dass ich kein Profi Fighter bin. Dazu gehört neben dem Training auch Genetik, Talent und in den Profiligen ein gehöriges Stück Doping. Ich war ein mittelmäßiger Athlet, aber durch meine Angst habe ich gelernt, was Training bedeutet. Fehler wie rein auf Erfahrung zu hören, diese nicht abzugleichen, konnte ich nicht machen. Früher aufzuhören, das konnte ich nicht machen.

Heutzutage ist mein Leben eher langweilig im Vergleich. Ich sitze vor einem Computer, schreibe Bücher, lese Studien und gleiche Zahlen ab. Zweimal die Woche trainiere ich mit Langhanteln, zweimal die Woche mit Kugelhanteln. Aber auch heute noch ist der Moment, in dem ich in den Trainingsmodus gehe, ein Überlebensmodus. Aufgeben keine Option. Eine Mittrainierende in unserer Garage sagte vor einiger Zeit zu mir “wenn ich dich nicht kennen würde und nur beim Training sehen würde, würde ich sagen du bist komplett verrückt. In dem Moment in dem du an der Hantel stehst, gehen die Augen auf und es steht ein anderer Mensch dort.“

Heutzutage höre ich immer von Leuten, die “hart” trainieren. Ich versuche den Leuten eher beizubringen, smart zu trainieren. Aber immer wieder, wenn ich Ausreden höre, wenn die Leute nicht steigern können, dann denke ich an Thailand zurück. Und an die Worte meiner Lehrer. Wie würdest du trainieren, wenn dein Leben davon abhängt? Würdest du diese Wiederholung schaffen, wenn du eine Pistole am Kopf hättest?  Ich war nie und werde nie ein Kommandosoldat sein. Auch war ich nie ein wirklich großer Fighter. Aber ich war Silbermedaillist. Ich habe gekämpft, das Adrenalin gespürt und ich habe aufgehört, für Sport oder Spaß zu trainieren. Ich habe für mein Leben trainiert. Mark Twight hat Menschen am Berg verloren, seine Athleten haben alle eine Mission. Sie kämpfen, sie besteigen Berge, sie fahren Rennstrecken, sie sind Schauspieler, die keine Wahl haben, als für Monate perfekt auszusehen. Sie trainieren alle für ihr Leben. Sie schaffen ihre eigene Realität.

Deswegen frag dich selbst: Was bedeutet Training für dich? Wofür trainierst du? Was ist wirklich “hart” für dich? Und wenn dein Leben davon abhängen würde, wie würdest du dann trainieren? Oder trainierst du lieber für “den Lifestyle?”

Wenn du mehr über Training lernen willst, als andere je vergessen haben, dann ist mein Buch “Stärker Breiter Schneller” absolut das Richtige für dich:

5 Gedanken zu „Hartes Training – oder nicht?“

  1. Danke für diesen Artikel, Frank!

    Ich finde ihn sehr gut geschrieben und kann mich auch mit vielen Dingen identifizieren. Vor allem wenn Du über die Grenzen der körperlichen Belastung schreibst. Da kann ich nur zustimmen:

    1. Realisieren, dass es “hart” wird
    2. Kopf rebelliert und will aufgeben
    3. Kopf beruhigt sich
    4. Körper gibt Adrenalin frei
    5. Endstation

    Ob es 3,4 oder 5 Phasen sind ist eigentlich egal. Die Reihenfolge stimmt. Erst überwindet man seine eigene Stimme und dann geht es so lange bis der Körper einfach nicht mehr kann.

    Ich habe die Erfahrung damals beim Leichtathletik in den USA gemacht. 1600 Meter. Die erste Stufe direkt übersprungen. Für die zweite hatte ich trainiert. Sie fing nach 800 Metern an. Nach 1200 Metern beruhigte sich mein Kopf und ich lief so schnell wie mein Körper mich tragen konnte. Stufe 4 war erreicht. Ich war unerfahren und brach dann 50 meter vor dem Ziel zusammen.

    Beim Ringen war es ähnlich. Nach 4 Minuten war die Luft raus und mein Gegner drückte mich unangenehm auf den Boden. Meine Stimme im Kopf: “Was machst Du hier eigentlich, Marco? Du brauchst nur abklatschen und schon bist Du frei. Gib einfach auf.” Je mehr Turniere / Wettkämpfe ich hatte, desto mehr hatte ich mich an die Stimme gewöhnt und gelernt sie zu “kontrollieren”.

    Danach lernt man in Stufe 4 zu bleiben und nicht in Stufe 5 zu rutschen.

    Ich trainiere immer noch und nehme an Wettkämpfen teil. Ich trainiere nicht hart. Mein Leben hängt auch nicht davon ab. Ich trainiere, um mich weiterzuentwickeln und weil es mir Spaß bringt – also für “den Lifestyle”.

    – Marco

  2. Also persönlich glaube ich, dass man mentale Stärke trainiert. Als ich angefangen habe zu trainieren, dachte ich, dass ich hart trainiere und an meine Grenzen gehe. Diese Grenze hat sich immer weiter nach oben verschoben. Heute denke ich zurück und würde nie im Leben sagen, dass ich damals so hart trainiert habe, wie ich geglaubt habe. Doch damals im Moment, war das was ich trainiert habe hart für mich und meinen Kopf. Ich konnte gar nicht wissen, wo meine Grenzen sind und deswegen war das Training hart.

    Also um zusammenzufassen glaube ich, dass solche Sprüche wie go hard or go home auf jeden zutreffen können. Klar gibt es Menschen, die noch härter trainieren. Doch jeder Mensch arbeitet im Training an seinen persönlichen Grenzen. Und wenn man das Training als hart empfindet, dann war es auch hart. Egal ob es nun 60% oder 90% der potenziellen Leistung war. Der Kopf entscheidet ob es hart ist oder nicht.

    Laut rumzubrüllen, dass man sooo hart trainiert und soo stark ist, ist natürlich schwachsinnig.

  3. Ich verstehe nicht so ganz, was du mit deinem Artikel sagen willst. Wen interessiert oder gar stört es denn, dass es Leute gibt, die gerne von sich behaupten, dass sie hart trainieren? Vielleicht hängt ja deren eigenes Leben davon ab, schon mal darüber nachgedacht? Deine Argumentation ist wie: Wir haben hier alle nur Wohlstandsprobleme, in Afrika hungern Kinder, also haben WIR hier nicht rumzuheulen. Diese Totschlagargumente helfen aber echt keinem weiter. Weißt du, wie es vielen hier geht? Weißt du, wie hart (uh uh, nicht schlagen) manche darum kämpfen, etwas aus sich zu machen?

    Nein, meine Hüfte wurde nicht in Asien von mehreren Leuten traktiert, ich musste noch nie gegen jemanden boxen, bei 40 Grad 100% Luftfeuchtigkeit ertragen usw., und ich bin auch kein Soldat, der die Höllenwoche durchstehen musste, aber kam dir jemals der Gedanke, dass du “Härte”, “Wichtigkeit” und “Leiden” gar nicht pauschal messen kannst?

    Die Kinder in China trainieren für ein besseres Leben. Nun, ich trainiere auch für ein besseres Leben. Es würde mir im Traum nicht einfallen, damit hausieren zu gehen, wie hart mein Training ist, denn ich weiß, dass es, verglichen mit dem, was andere tun, NICHT hart ist. Es kann gar nicht hart sein, denn ich selbst bin ja noch recht unfit. Für mich ist es aber verdammt hart, Frank. Für mich ist es manchmal sogar schon hart, einfach nur aufzustehen. Ich bin ein Wohlstandskind, und trotzdem unglücklich. Ich bin einsam, ich finde keinen Sinn im Leben, und die meiste Zeit wäre ich lieber tot. Ja, ich kann mir riesige Berge Kuchen kaufen und Papi bezahlt mein Studium. Danach gehts dann direkt in die Arbeitslosigkeit. Manchmal ist Training das einzige, das mich halbwegs aufrecht hält. Das einzige, wo ich ein Ergebnis sehen, einen Erfolg spüren kann.

    Übrigens habe ich auch fast mein ganzes Leben unter meinem Körper gelitten. Meine Veranlagungen sind nicht die dollsten. Mein Bindegewebe ist zum Kotzen, das heißt, dass ich mit 13 bereits aussah wie ein Zebra. Zusätzlich hatte ich Akne. Also hab ich das Naheliegende getan: Gefressen, am PC gesessen und mich vor der Welt versteckt. Ich habe nie Sport getrieben, ich bin nicht rausgegangen, nicht zum Schwimmen, nicht mit Freunden getroffen, kaum Sonne, keine gute Ernährung. Mit 21 hatte ich 20 Kilo Übergewicht. Das ist nicht die Welt, das könnte viel schlimmer sein. Ich hätte ja auch 100 Kilo Übergewicht haben können. Was heule ich hier überhaupt rum?

    Trotzdem habe ich Mitte 20 gesagt, dass jetzt Schluss damit ist, mit den Ausreden, mit dem Verstecken, mit diesem Lebensstil, und habe angefangen, abzunehmen und zu trainieren. Frank, stell dir vor, ich kann nicht mal eine einzige richtige Liegestütze! Denkst du, ich könnte einen Klimmzug? Weit gefehlt.
    Dennoch quäle ich mich regelmäßig durch diverse Trainings, obwohl ich nach dem Duschen in den Spiegel schaue und direkt wieder kotzen könnte. Weil ich dann ja VIELLEICHT irgendwann doch mal das Gefühl habe, mit meinem Körper halbwegs im Reinen zu sein. Weil ich keine Lust mehr hatte, herumzuheulen und mich zu verstecken.

    Für mich ist das alles verdammt hart. Du kannst jetzt gerne laut lachen. Tu ich übrigens auch manchmal, über mich selbst. Und die Welt. Wen interessieren anderer Leute Maßstäbe schon? Jeder sieht die Welt nur aus seiner eigenen Sicht.

    • Es geht darum, dass wenn du in den Spiegel guckst, lachst oder weinst, dir immer bewusst ist, dass es einen Schritt weitergeht. Dass die Welt niemals fair ist, dass die Welt es meistens nichtmal interessiert, was du dort tust. Das es nicht um Getue geht darüber, wie hart man trainiert, sondern darum, immer den nächsten Schritt im Auge zu haben, seine Grenzen permanent zu erweitern.

      Es gibt keinen Champion auf der Welt, der nicht mal dunkle Tage hat. Jeder Boxer/Fighter stellt sich in der Umkleide genau die gleichen Fragen wie du. Er sieht sich im gleichen Spiegel, wie du. Der Unterschied ist, es gibt einen objektiven Marker für Leistung. Und da ist die einfache Frage: Was ist genug? Wo willst du sein? Wie hart kann es werden?

      Subjektive Härte ist sicher interessant, aber sie bedeutet leider weniger als wir glauben mögen. Wir können lernen, mit diesen Dingen umzugehen, wir können lernen, noch besser zu werden. Es ist immer eine Frage des Wollens. Es ist aber eben keine Schande, nicht zu Wollen. Eine Schande ist es aber, zu tun als wolle man, zu tun als tue man bereits, aber in Wahrheit nur eine Hülle der Realität darzustellen, was hartes Training bedeutet.

      Es ist keine Schande, Mittelmässig zu sein und es ist keine Schande, stolz auf seine Leistungen zu sein. Ich werde niemals Powerlifting Champion, niemals Bodybuilding Champion und meine Leistungssporttage sind gezählt. Ich kann trotzdem stolz darauf sein, stärker zu werden, besser zu werden. Aber ich werde mir und anderen nicht vormachen, dass ich trainiere wie die Elite, dass ich meinen Arsch auf den Boden der Tatsachen bringe und so fucking tough bin, das ich alles abkann. Denn das wäre gelogen, das wäre nicht authentisch und es wäre eine Verarsche an mir selbst.

      Gerade Krafttraining ist eine Realität, die uns oftmals mit Versagen und “Aushalten” konfrontiert. Es sind Zahlen, die überwunden werden. Objektive Marker. Die sich immer schwerer, immer härter anfühlen. Und sie geben uns klares, ehrliches Feedback. Wenn es mir um eine Message ging, dann: Sei ehrlich zu dir selbst. Akzeptiere dich und deine Ziele selbst. Mach dir und anderen nichts vor, akzeptiere wo du stehst und kralle dich jeden Tag einen Zentimeter weiter, wenn es sein muss. Wenn du abrutscht, zurückfällst, akzeptiere dass das passiert ist, frage dich warum, frage dich was du besser machen kannst und kämpf um jeden Zentimeter. Aber tu dabei nicht so, als wärst du Elite. Denn Elite ist etwas, dass nur die Wenigsten erreichen.

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